Am 5. August 2020 wurde die seit langem erwartete Gesetzesvorlage zur Novellierung des polnischen Gesetzbuches für Handelsgesellschaften veröffentlicht, mit der u.a. bisher unbekannte konzernrechtliche Regelungen erstmals den Weg in die polnische Rechtsordnung finden können.

Den Bedarf an neuen Rechtsvorschriften im Bereich des Konzernrechts haben polnische Unternehmer gemeldet, die im Rahmen herrschender und abhängiger Unternehmen tätig sind, und zwar oft in ausgebauten Konzernen, deren herrschende Gesellschaften im Ausland ansässig sind. Mit den vorgelegten Rechtsvorschriften wird einerseits das Ziel verfolgt, dem herrschenden Unternehmen die Führung polnischer Tochtergesellschaften bei Wahrnehmung der Konzerninteresse leichter zu machen, aber anderseits, der Tochtergesellschaft, ihren Minderheitsgesellschaftern und ihren Gläubigern entsprechenden Schutz zu gewährleisten.

Die Gesetzesvorlage sieht auch weitere Anpassungen des Gesetzbuches für Handelsgesellschaften, z.B. zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten, vor. In diesem Alert konzentrieren wir uns jedoch auf neue Regelungen im Bereich des Konzernrechts.

Unternehmensgruppe

Mit der Novelle werden bereits bestehende faktische Konzerne, d.h. Strukturen von herrschenden und abhängigen Unternehmen, in einen gesetzlichen Rahmen gesetzt, der als sog. Unternehmensgruppe bezeichnet wird.

Nach der in der Gesetzesvorlage enthaltenen Definition steht eine Unternehmensgruppe für ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von ihm abhängige Unternehmen, die entsprechend dem Gesellschaftsvertrag oder der Satzung des jeweiligen abhängigen Unternehmens eine gemeinsame Wirtschaftsstrategie (Gruppeninteresse) verfolgen, die dem herrschenden Unternehmen die Möglichkeit gewährt, das abhängige bzw. die abhängigen Unternehmen einheitlich zu leiten.

Eine der grundsätzlichen Voraussetzungen der geplanten Gesetzesnovelle ist, dass die an der Unternehmensgruppe beteiligten Unternehmen neben eigenem Interesse auch das Interesse der Unternehmensgruppe (d.h. die gemeinsame Wirtschaftsstrategie) wahrnehmen, sofern dadurch das berechtigte Interesse von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern bzw. -aktionären des abhängigen Unternehmens nicht verletzt wird. Dies ist eine bedeutende Abweichung von den bisherigen Grundsätzen des polnischen Gesellschaftsrechts, nach denen sich jedes Unternehmen im Wesentlichen von seinen eigenen Interessen und nicht von denen des Konzerns, zu dem es gehört, leiten lassen sollte.

Wie wird die Rechtsstellung einer Unternehmensgruppe erworben?

Nach der Gesetzesvorlage erhält ein faktischer Konzern die Rechtsstellung einer Unternehmensgruppe, indem:

  • eine gemeinsame Wirtschaftsstrategie der Unternehmensgruppe in den Gesellschaftsverträgen (Satzungen) der abhängigen Unternehmen festgelegt wird,
  • die Geschäftsführung des herrschenden Unternehmens über die Annahme einer gemeinsamen Wirtschaftsstrategie der Unternehmensgruppe beschließt,
  • das herrschende Unternehmen und die abhängigen Unternehmen die Teilnahme an der Unternehmensgruppe durch einen entsprechenden Registereintrag im Unternehmensregister offen legen.

Die Anwendung der konzernrechtlichen Regelungen auf das jeweilige Unternehmen und deren Organmitglieder ist erst dann möglich, nachdem es seine Teilnahme an einer Unternehmensgruppe im Unternehmensregister offen gelegt hat.

Unternehmen, die einer Unternehmensgruppe angehören, werden in ihren Briefen und Geschäftsbestellungen sowie auf ihren Websites ihre Zugehörigkeit zu der Unternehmensgruppe angeben müssen.

Vorteile aus der Rechtsstellung als Unternehmensgruppe

Nachfolgend finden Sie Vorteile, die sich aus der Rechtsstellung als Unternehmensgruppe ergeben.

  • Das herrschende Unternehmen kann dem abhängigen Unternehmen, die der Unternehmensgruppe angehört, verbindliche Weisungen (in Schrift-, Text- oder elektronischer Form) zur Führung seiner Geschäfte erteilen, sofern es durch Interesse der Unternehmensgruppe gerechtfertigt ist.

Momentan ist es in der polnischen Rechtsordnung unmöglich, dass ein herrschendes Unternehmen seinen abhängigen Unternehmen bindende Weisungen erteilt. Ferner ist es in der Rechtslehre umstritten, ob eine Gesellschafterversammlung der Geschäftsführung einer GmbH bindende Weisungen erteilen darf (dies ist in den Regelungen über Aktiengesellschaften ausdrücklich ausgeschlossen).

  • Die Mitglieder von Leitungs- oder Aufsichtsorganen des herrschenden bzw. abhängigen Unternehmens können sich auf das Interesse der Unternehmensgruppe berufen, um ihre zivilrechtliche Haftung gegenüber der geführten Gesellschaft für Schäden, die aus einer Handlung oder Unterlassung im spezifischen Interesse der Unternehmensgruppe resultieren, oder teilweise ihre strafrechtliche Haftung auszuschließen.

Momentan ist eine Handlung im Interesse der Unternehmensgruppe kein Grund dafür, dass die Mitglieder von Leitungs- oder Aufsichtsorganen von ihrer Haftpflicht gegenüber der Gesellschaft bzw. der strafrechtlichen Haftung befreit werden.  

  • Das herrschende Unternehmen ist berechtigt, Bücher und Unterlagen des abhängigen Unternehmens, die der Unternehmensgruppe angehört, jederzeit einzusehen und Auskünfte zu verlangen.

Momentan sind in den Rechtsvorschriften über Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften Fälle geregelt, in denen sich die Geschäftsführung weigern kann, dem Aktionär bzw. dem Gesellschafter Auskunft zu erteilen.

  • Der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens (mangels des Aufsichtsrates – die Geschäftsführung des herrschenden Unternehmens) übt ständige Aufsicht über die Wahrnehmung der Interessen der Unternehmensgruppe durch die abhängigen Unternehmen aus.

In der jetzigen Gesetzeslage ist diese Möglichkeit nicht gegeben. Die Aufsicht über das jeweilige Unternehmen obliegt ausschließlich seinen eigenen Organen, nicht denen des Gesellschafters.

  • Das herrschende Unternehmen ist berechtigt, den Minderheitsgesellschaftern bzw. -aktionären des abhängigen Unternehmens Anteile oder Aktien zwangsweise abzukaufen (Squeeze-out).

Dass den Minderheitsgesellschaftern Anteile zwangsweise abgekauft werden können, ist ein Novum im Falle der GmbH. Der Squeeze-out ist dagegen in den aktuell geltenden Regelungen über Aktiengesellschaften vorgesehen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des  Squeeze-out im Rahmen einer Unternehmensgruppe sind jedoch gemäß der geplanten Gesetzesnovelle viel liberaler.

Ausführung einer bindenden Weisung des herrschenden Unternehmens

Zur Umsetzung einer vom herrschenden Unternehmen erteilten Weisung wird es eines Beschlusses der Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens bedürfen. Ein solcher Beschluss kann gefasst werden, sofern dadurch die Interessen des abhängigen Unternehmens nicht verletzt werden bzw. wenn vernünftigerweise angenommen werden kann, dass der Schaden, der dem abhängigen Unternehmen infolge der Ausführung dieser Weisung entsteht, rechtzeitig (nicht länger als 2 Jahre ab dem Zeitpunkt des Schadenseintritts) durch das herrschende Unternehmen oder durch ein anderes Unternehmen aus der Unternehmensgruppe beseitigt werden kann.

Der Beschluss sollte u.a. erwartete Vorteile oder Nachteile bei dem abhängigen Unternehmen, die sich aus der Umsetzung der durch das herrschende Unternehmen erteilten Weisung ergeben, sowie die voraussichtliche Art und Weise sowie die Frist für die Beseitigung des Schadens bestimmen, der dem abhängigen Unternehmen aus der Umsetzung der Weisung entstanden ist.

Weigerung, eine bindende Weisung des herrschenden Unternehmens auszuführen

Nach der Gesetzesvorlage dürfen sich Geschäftsführungen von Einmanngesellschaften nicht weigern, Weisungen des herrschenden Unternehmens auszuführen. In anderen Fällen wird diese Weigerung aus den in der Gesetzesvorlage genannten Gründen zulässig sein (diese sind grundsätzlich damit verbunden, dass das abhängige Unternehmen dadurch insolvent wird oder einen Schaden erleiden könnte, der weder vom herrschenden Unternehmen noch von einem anderen Unternehmen der Unternehmensgruppe beseitigt wird). Die Weigerung, eine Weisung auszuführen, bedarf eines entsprechenden Beschlusses durch die Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens (samt Begründung).

Haftung des herrschenden Unternehmens

Nach der Gesetzesvorlage wird das herrschende Unternehmen gegenüber dem abhängigen Unternehmen, das der Unternehmensgruppe angehört, für die Folgen haften, die sich aus der Ausführung der bindenden Weisung des herrschenden Unternehmens ergeben. Dies wird eine Verschuldenshaftung sein.

Die Novelle sieht sog. Business Judgement Rule (Prinzip der Handlung im Rahmen eines gerechtfertigten Geschäftsrisikos) vor, nach dem sich das herrschende Unternehmen von der obigen Verschuldenshaftung befreien kann, sofern es nachweislich im Rahmen eines gerechtfertigten Geschäftsrisikos, darunter aufgrund von Informationen, Analysen und Stellungnahmen, gehandelt hat.

Nach der Gesetzesvorlage wird das herrschende Unternehmen unter einigen Umständen für die Ausführung seiner Weisung ebenfalls gegenüber den Gläubigern des abhängigen Unternehmens sowie den Minderheitsgesellschaftern bzw. -aktionären haften.

Schutz von Minderheitsgesellschaftern bzw. -aktionären

Jährliche Lageberichte des abhängigen Unternehmens, das der Unternehmensgruppe angehört, werden einen zusätzlichen Teil mit Angaben zu den Beziehungen des anhängigen Unternehmens mit dem  herrschenden Unternehmen im letzten Geschäftsjahr und zu den verbindlichen Weisungen des herrschenden Unternehmen an das abhängige Unternehmen enthalten müssen.

Nach der Gesetzesvorlage können die Minderheitsgesellschafter bzw. -aktionäre des abhängigen Unternehmens verlangen, dass ihnen Anteile oder Aktien zwangsweise abgekauft werden (Sell-out).

Voraussichtliches Inkrafttreten

Die Gesetzgebungsarbeiten befinden sich in einem frühen Stadium. Am 19. September 2020 wurde erst die öffentliche Anhörungsphase beendet. Momentan arbeitet der Verfasser an einem Bericht über die Anhörungsphase. Die besprochene Gesetzesvorlage wurde dem polnischen Parlament noch nicht vorgelegt.

Vorgesehen ist eine Legisvakanz von 3 Monaten, weil der Inhalt von Gesellschaftsverträgen bzw. Satzungen angepasst werden muss.

 

Für alle Fragen bezüglich der angesprochenen Punkte stehen Ihnen Rechtsanwälte aus unserem Beratungsteam für Gesellschaftsrecht und Corporate Governance zur Verfügung: Anna Wojciechowska (Rechtsanwältin, Partner) und Anna Fennig (Rechtsanwältin).

 

Rechtsgrundlage:

Gesetzesvorlage zur Änderung des Gesetzesbuches für Handelsgesellschaften und mancher anderen Gesetze, veröffentlicht am 5. August 2020 auf der Webseite des Regierungszentralstelle für die Gesetzgebung